Herbstmenschen

In der Zeit verloren, verlorst du Zeit, wie der Baum die Blätter

verliert im Herbst.

Er weiß und fühlt nichts vom Frühling, vom Sommer.

Vor ihm nur der kalte trieste Winter.

Die verlorenen Blätter sind ein Teil deines Wesens –

sie fallen unweigerlich…

… verlieren sich … verlieren das Leben.

Das lebensatte Grün wird zum Braun der Totenstarre.

Niemand sagt dir, dass ein neues Grün folgen wird, ja folgen muß.

Stattdessen nackt – streckst du dich dem Winter entgegen.

Du warst ein Ort des fröhlichen Vogeltreibens, Narben der Verliebten zieren deinen Stamm.

Jahr um Jahr kannst du dich nicht bewegen, mitten im Wald.

Einsam unter Bäumen seinen Platz nicht verlassen, es nicht können.

Wann fällt das letzte Blatt für immer?

Wann verlierst du alles – für immer?

Die Blätter sind ein Teil deines Wesens, doch nicht dein Wesen selbst.

Bald bist du vergessen, doch der Wald, der bleibt.

Deine Blätter werden Erde, aus der  neues Leben ersteht.

Aus Erde bist du, zu Erde wirst du und hörst nicht auf ein Herbstmensch zu sein.

Dein Blätterdach schirmt und schützt.

Deine Wurzeln reichen ans Wasser.

Im der Wärme deines Feuers eint sich eine Familie…

So lange währt dein Leben, so kurz ist sein Zweck.

War es das wert, Blätter zu haben und zu verlieren?

Blätter, die niemand jemals zählt?

Wenn verlieren gewinnen heißt, dann hast du mehr gewonnen, als verloren.

Herbstmensch, dich merkt man nicht, niemand ahnt deinen Verlust.

Sie nehmen dich wahr, aber niemand müht sich, dich an zu sehen.

Harry Kroppach  / pixelio.de

Harry Kroppach / pixelio.de

Zu selbstverständlich bist du, nicht schön, nicht besonders…

Im Herbst des Lebens wirst du leer, bedeutungslos, anders als die Blumenmenschen,

Sie erfreuen Herzen.

Du atmest Melancholie, die Melodie der Vergänglichkeit.

Doch mit dem Fall deiner Blätter zeugst du …

vom Neuwerden der Schöpfung und von der Liebe zum Leben.

Selbst wenn dich deine Mutter vergäße,

ich vergesse dich nie.